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Aufsätze

jsm_2009Vor wenigen Tagen traf die neue Jahressichtmarke bei den Vereinen der AUD ein. Die Präsidiumsmitglieder haben für 2009 als Motiv „Bambus" ausgewählt. Bambus ist eine Grasgattung, die uns mittlerweile auch aus unseren Gärten vertraut ist und deshalb hier nicht näher beschrieben werden muss. Aber doch ein paar Beobachtungen: die gerade wachsenden Pflanzenhorste sind das ganze Jahr über grün und immer in Bewegung mit ihren tausend kleinen Blättern. Mit seiner ganzen Gestalt antwortet Bambus auf die atmosphärischen Bedingungen: er raschelt in der kaum bewegten Luft, er duckt sich unter prasselndem Regen, wird hin und her geworfen von starkem Wind. Selbst bei Sturm gibt es keine abgebrochenen Triebe. Der Winter bedeckt den Bambus bei uns mit Schnee, er beugt sich unter der Last, bis er unter Umständen am Boden liegt. Aber kaum ist der Schnee getaut, richten sich die Bambushalme wieder auf. Aus diesen wenigen Anmerkungen lässt sich die außerordentliche Symbolkraft dieser Pflanze für uns Aikidoka erahnen.

Bambus wird nicht unbedingt mit Deutschland verbunden, auch nicht mit Südfrankreich, Algerien oder dem Amazonasgebiet. Und doch ist er auf beiden Hemisphären heimisch. Ohne ihn ist kein chinesischer oder japanischer Garten zu denken. Seine immergrünen Blätter dienen manchmal als Hintergrund, um anderen Pflanzen Geltung zu verschaffen. Die schönen Haine, oft baumhoch, sind auch um Tempel und Klöster zu finden und regen zur Meditation an. Bambus inspirierte in Japan Maler und Dichter. An dieser Stelle zwei Gedichte in der traditionellen Versform des Haiku:

Wohl fünf- bis sechsmal
Farben mischen
Am Bambusvorhang (Ransetsu, 1654-1707)

Im Sommerregen
So ab und zu beim Bambus
Ein Falter auftaucht. (Chora, 1721-1772)

Die Zellen der Bambushalme enthalten wie Bäume eine große Menge an Lignin und sind entsprechend hart. Einige Bambusarten erreichen riesige Dimensionen. Bambusse gehören für den Menschen zu den nützlichsten Gewächsen und sind in dieser Hinsicht nur mit der Kokospalme vergleichbar. Zum Beispiel können die jungen Schösslinge des Bambusrohrs von uns als Gemüse genossen werden, der Panda-Bär schätzt die Bambusblätter.

Bambus wird in Asien auch als Baustoff genutzt, z. B. für Häuser, Gerüste und Brücken. Ebenso wird er bei der Herstellung von Gebrauchsgegenständen verwendet: u. a. Möbel, Körbe, Hüte, Regenschirmstiele und Reusen. Bambusfaser dient der Papierherstellung.

Für mich als Musiker besonders interessant ist, dass es schon in der alten ägyptischen Hochkultur eine Langflöte aus Bambus gab. Auch die traditionelle Flöte Shakuhachi wird in Japan aus Bambus gefertigt. Sie spielt eine wichtige Rolle in der Kunstpflege der Samurai. In der westlichen Popmusic ist sie in einem berühmten Beispiel zu hören: der Hit „Sledgehammer" (1986) des Briten Peter Gabriel, Ex-Sänger von Genesis, beginnt mit einem Shakuhachi-Sample. Dieser Sample ist im Mittelteil des Songs noch einmal zu entdecken.

Die älteste Kampfkunst der Samurai ist das Bogenschießen: Kyudo. Die dabei verwendeten asymmetrischen Bögen (Yumi) in ihrer langen und kurzen Form werden in einem komplizierten Verfahren mit Hilfe von Bambus hergestellt. Die dazugehörigen Pfeile (Ya) haben einen Schaft aus Bambus.

Unsere Sichtmarken der letzten drei Jahre vertraten die Elemente Erde, Wasser und Feuer. Innerhalb der taoistischen Fünf-Elemente-Lehre aus China kann Bambus für das Element Holz stehen. Es besitzt die Aktionsqualitäten von Aufbruch und Expansion. Die Liste der Analogien ist praktisch unbegrenzt. Deshalb hier nur ein paar Beispiele, denen Holz zugeordnet werden kann: als Himmelsrichtung der Osten, als Jahreszeit der Frühling, als Tageszeit der Morgen und als Lebensalter Geburt und Wachstum.

Im Abendland ist Holz das Material, das bei Geburt und Tod Zuflucht in Wiege und Sarg gewährt und aus dem auch das Ehebett gebaut wird. In der christlichen Symbolik weist Holz auf den Baum der Erkenntnis im Alten Testament hin und im Neuen Testament auf das Kreuz Jesu.

Ich komme nun auf unser eigentliches Thema „Bambus" zurück und erläutere einige seiner symbolhaften Bedeutungen. In Japan ist Bambus ein positiv besetzter Begriff: da er sehr gerade wächst und aufgrund seiner frischen grünen Farbe, gilt er als Symbol der Reinheit. Er ist aber auch ein Glückssymbol. Am Jahresende wird auf jeder Seite der Haustür ein Gebinde aus Kiefernzweigen und Bambusrohren aufgestellt, das Glück bringen soll (Kadomatsu).

Für uns Aikidoka kann Bambus ein Sinnbild der eigenen Biegsamkeit sein und auch für die Fähigkeit stehen, sich immer wieder aufrichten zu können. Gleichzeitig symbolisiert Bambus unser inneres Wachstum im Aikido und ebenso das unseres Verbandes.

Für das Trainingsjahr 2009 wünsche ich allen Mitgliedern: möge das Bambusmotiv viel Glück bringen beim Erreichen der angestrebten Ziele. Das soll gelten für alle Wegschülerinnen und -schüler, für alle Meisterinnen und Meister und für das gesamte Leitungsteam der Aikido-Union Deutschland.


Harald Ketzer
Aikido-Club Bergen-Enkheim e.V.